SendCloud entwickelt 2012 ein Versandtool für Webshops. Fünf Jahre später ist der Start-up aus Eindhoven das wachstumsstärkste Techunternehmen der Niederlande.
Ein einfacher Kerl mit einer guten Nase für Geschäfte. Ein typischer Millennial: eine Abneigung gegen Nonsens und Hierarchien, offen und ehrlich, entschlossen, ständig darauf ausgerichtet, hinzuzulernen und sich zu verbessern. Ein sympathischer, bescheiden gebliebener Kerl ist er auch; einer, der, wenn er mit seinen Freunden ein Unternehmen gründet, denkt: „Wenn wir dreihundert Euro am Tag verdienen, dann läuft‘s prima.“ Die Rede ist von Sabi Tolou, einem der drei Männer von SendCloud. Gemeinsam mit Rob van den Heuvel und Bas Smeulders beginnt er 2012 mit einem Versandtool für Webshops. Wenn sie fünf Jahre später den Deloitte Fast50 gewinnen, haben sie einen Umsatzzuwachs von 5463 Prozent erzielt. Damit ist der Start-up aus Eindhoven nicht nur das wachstumsstärkste Techunternehmen der Niederlande, sondern auch eines der 50 wachstumsstärksten Europas. Über zehntausend Webshops zählen inzwischen zu ihren Kunden, in den Niederlanden sowie in Belgien, Frankreich, Deutschland und Österreich. Jetzt konzentrieren sich die Brabanter auf Spanien.
Rob und Bas sind neunzehn, Sabi ist zweiundzwanzig, wenn ihnen die Idee zu SendCloud kommt. Die beiden ersteren kennen einander von der Sekundarschule in Deurne. Sabi kommt über Rob hinzu, beide arbeiten neben ihrem Studium bei T-Mobile. Hier sehen sie zum ersten Mal Möglichkeiten für ein eigenes Unternehmen. Sabi Tolou: „Wir mussten viele Kunden, die in den Laden kamen, enttäuschen, da sie eine Handyhülle suchten, die nicht in unserem Sortiment enthalten war. Da haben wir selbst zwei Webshops für Hüllen angefangen: Phonegadgets und JustForApple.” Die drei Freunde machen gute Geschäfte, merken jedoch bald, dass das Versandverfahren sehr zeitraubend ist, weil zum Beispiel Versandlabels gedruckt und Adressdaten ins System des Paketdienstes eingegeben werden müssen. „Das muss doch praktischer gehen, dachten wir uns. Wir dachten jedoch auch sofort: Wenn wir solche Schwierigkeiten haben, ist das für andere Webshops auch so.“
So entsteht SendCloud, eine Plattform, die Auftragsdaten von Webshops mit verschiedenen Paketdiensten aus dem In- und Ausland verbindet. Es bedeutet für den online Einzelhandel nicht nur das Ende des ganzen Aufwands für Versand und Rücksendungen. Es bietet den Händlern auch die Möglichkeit, relativ preisgünstig die Leistungen verschiedener Paketdienste in Anspruch zu nehmen und ihren Kunden so einen besseren Service zu bieten. „Das war nämlich unser eigentliches Businessmodell“, meint Sabi. „Groß einkaufen und den so erhaltenen Mengenrabatt mit den Kunden teilen.“ Der Abschluss des ersten Vertrages mit Paketdiensten ist dann doch eine riesige Herausforderung. „In der Logistikwelt waren wir noch völlig neu und da saßen wir dann plötzlich mit dem kaufmännischen Geschäftsführer von PostNL am Tisch.“ Wenn wir Sabi fragen, wie sie da reingekommen sind, lacht er. „Wir kannten den Neffen des damaligen finanziellen Geschäftsführers. Den haben wir mit ein paar Bier soweit bekommen, dass er uns seinem Onkel vorstellen wollte. Und der hat dann den kaufmännischen Geschäftsführer darüber ins Bild gesetzt.“
SendCloud beginnt klein, mit einem Pilotprojekt. Sabi: „Als wir ein Minimum Viable Product hatten, haben wir Webshops kontaktiert, um es mit uns zu testen und uns ihr Feedback dazu zu geben, sodass wir unser Produkt verbessern konnten.“ Das Pilotprojekt ist ein Erfolg und dann geht es schnell. Das ist teils eine Frage des Timings: Es gibt immer mehr Webshops, weshalb der Markt für die Lösung von SendCloud von selbst wächst. „Anfangs haben wir gedacht: Wir können uns jetzt einfach auf die faule Haut legen, das Geld kommt von selbst zu uns. Aber bereits bald haben wir eingesehen, dass das nicht reicht, wenn man wirklich Erfolg haben will.“ „Groß denken“ ist auch die Botschaft, die die Männer bei ihrer Teilnahme am Accelerator Program von Startupbootcamp mit auf den Weg bekommen. „Nicht erst dann einen Entwickler einstellen, wenn man dafür genug Geld verdient hat, wie wir anfangs vorhatten, sondern Investoren finden. Dritte, die nicht nur dazu bereit sind, ihr Geld in unser Unternehmen zu stecken, sondern auch Wissen und Know-how mitbringen und einen herausfordern, indem sie kluge Fragen stellen.“
Im selben Jahr – 2014 – wird SendCloud zum Rising Star bei Deloitte Fast50 ausgerufen. Das ist nicht nur gut fürs Ego, sondern bringt auch ein Netzwerk und Namensbekanntheit mit sich. Eine Weile scheint alles wie von selbst zu laufen. Wenn sie ihre Geschichte auf einer Fachmesse für Webshops erzählen, sucht das belgische Postunternehmen bpost sie auf. Sabi: „Man wollte unsere Lösung nutzen und da waren wir plötzlich international tätig.“ Aber wenn sie sich auf den deutschen Markt begeben, wird es schwierig. „Wir wollten einfach zu schnell. Wir haben eine Mitarbeiterin dorthin geschickt, die die Sprache nicht beherrschte und den Markt nicht kannte, gaben ihr ein Telefon und Tools, und wünschten ihr viel Erfolg. Das funktionierte natürlich nicht.“ Von seinen Fehlern lernt man: SendCloud stellt ein deutsches Team zusammen und holt es nach Eindhoven, um die Leute hier auszubilden und von hier aus das neue Business zu starten. Erst wenn sich das Team die Arbeitsweise von SendCloud angeeignet hat, geht es (2016) zurück nach Deutschland. Rob van den Heuvel geht zunächst mit und begleitet die Geschäfte dort vorübergehend.
Das Abenteuer in Deutschland zeigt ihnen noch etwas: zuerst die Lage auskundschaften und dann erst beginnen. „Beim ersten Versuch nahmen wir unsere niederländischen Lösungen mit nach Deutschland“, erzählt Sabi. „Heute gibt es eine ausführliche Voruntersuchung, bevor wir einen neuen Markt betreten: Welche Webshopsysteme verwendet man hier am meisten, welche Paketdienste gibt es, was sind die Bedürfnisse der Kunden – am selben Tag liefern oder erst nach zwei, drei Tagen?“ Auch wichtige interne Entscheidungen treffen die Männer heute nicht mehr ‚aus dem Bauch heraus‘.
2016 ist auch das Jahr, in dem das Techunternehmen eine erste Investition von der Brabantse Ontwikkelings Maatschappij (BOM) und von TiiN Capital erhält, eine neue Verwaltung in Eindhoven eröffnet und sich auf den französischen Markt begibt. Dort beginnt SendCloud gut vorbereitet. Die Erlebnisse in Frankreich führen jedoch dazu, dass das Brabanter Start-up Anfang 2018 den Kurs wechselt.
Sabi Tolou: „Wir wuchsen stark, 2017 gewannen wir sogar den Deloitte Fast50.“ Aber wir waren immer von Dritten abhängig, von PostNL, DHL oder anderen Paketdiensten, bei denen wir groß einkauften. Die hielten ihre Preise hoch, was uns für echte Großkunden uninteressant machte. Als in Frankreich zum x-ten Mal ein großer Paketdienst zu uns sagte: ‚Ganz toll gemacht, Jungs, aber wir erhöhen jetzt unsere Preise‘, da hat es uns gereicht. Wir fokussieren jetzt auf den Service, den wir bieten, und nicht mehr auf den Verkauf von Dienstleistungen der Paketdienste. Unsere Kunden können noch immer unsere Volumenverträge mit Paketdiensten nutzen. Aber sie können auch nur unsere Software nutzen und selbst Verträge mit den Paketdiensten abschließen.“
Mit SendCloud können kleinere Webshops in den Wettbewerb mit den ‚Großen‘. Aber auch diese ‚Großen‘ wissen SendCloud nun zu finden. Entwicklung und Wachstum des Unternehmens gehen weiter. Und das bringt wieder neue Herausforderungen mit sich, wie die Suche nach talentiertem Personal. Herausforderungen sind aber dazu da, dass man sie meistert. Für SendCloud gilt: The Sky is the Limit.
Der Fluf Slime Shop – auch made in Eindhoven – ist einer der kleinen Webshops, die mithilfe von SendCloud stark wachsen konnten. Marijn Roukens (21) sah 2017, wie Jung und Alt in den USA in den Bann von Schleim gerieten, und beschloss, mit einem eigenen online Schleimshop auf dem niederländischen Markt einen Versuch zu wagen. Er begann in seinem Wohnzimmer, mit zehn Päckchen pro Woche, die er selbst zur Poststelle im Supermarkt brachte. Aber dann begann auch in den Niederlanden die Schleimmanie und gingen wöchentlich hunderte Bestellungen ein.
Marijn, gelernter IT-Spezialist: „Technik und Marketing konnte ich prima selbst, aber die Versand- und Transportwelt war mir völlig neu. Außerdem war die Arbeit, um alle Kundendaten in das System des Paketdienstes einzugeben, umfangreich und fehleranfällig. Mit der Anwendung von SendCloud ist das per Knopfdruck erledigt: Das Lagerpersonal klickt auf ‚Auftrag verarbeiten‘ und braucht noch nicht einmal mehr Adressen zu kontrollieren. Toll, dass SendCloud einem das ganze Drumherum aus den Händen nimmt. Ich habe einen eigenen Accountmanager, den ich anrufen kann, wenn es Probleme gibt. Er regelte zum Beispiel einen Lkw anstatt eines Lieferwagens zur Abholung der Pakete, als das nötig war. Heute kommt standardmäßig ein Lkw, so viel wird bei uns bestellt. Dennoch beschäftige ich mich eigentlich nicht mit der Logistik. Es funktioniert halt einfach.“
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