Focal Meditech entwickelt Technologie für Autonomie. Die Hilfsmittel ermöglichen Matthijs Hamakers ein selbstbestimmtes Leben.
Dass ihr Sohn ein helles Köpfchen ist und gern sein eigenes Ding macht, das war den Eltern von Matthijs Hamakers schon klar, als er noch im Vorschulalter war. Dass er heute - als 25-Jähriger - mühelos ein Hochschulstudium absolviert und regelmäßig allein durch das Land reist, um eine seiner Lieblingsbands zu sehen: Das wundert sie nicht im Geringsten. Dennoch ist es außergewöhnlich, was Matthijs tut: Aufgrund einer angeborenen Muskelerkrankung sind seine Muskeln sehr schwach. Er hat noch nie laufen können. Ganz alltägliche Aktivitäten wie essen und gerade sitzen: Das geht nicht ohne Hilfsmittel.
Diese Hilfsmittel stammen allesamt von Focal Meditech, einem Brabanter Unternehmen, das Technologien für ein autonomes Leben entwickelt: von Hilfsmitteln zum Essen oder Greifen bis hin zu sozialen Robotern. Das erfolgt immer in Abstimmung mit dem Nutzer. „Was unsere Kunden brauchen, kommt nicht fix und fertig aus einem Karton“, erzählt Paul Groenland, der Focal Anfang der neunziger Jahre gründete. „Die Bedürfnisse eines jeden Einzelnen sind anders. Wenn man richtig zuhört und den Nutzer bei der Herstellung des maßgeschneiderten Produkts einbezieht, findet man die besten Lösungen.“ Je enger die Beziehung zum Nutzer, desto besser, meint er. Und eng kann man die Beziehung mit Matthijs sicher nennen.
Matthijs ist acht, als er Focal kennenlernt – auf der Support-Messe, einer Messe für Menschen mit Einschränkungen des Bewegungsapparats, die er gemeinsam mit seinem Vater und Opa besucht. Er hat dann bereits einen elektrischen Rollstuhl. Aufgrund des progressiven Charakters seiner Erkrankung hat seine Armfunktion dermaßen abgenommen, dass das Essen sich schwierig gestaltet. Eine in den Rollstuhl integrierte Armstütze von Focal Meditech, die hilft, das Gewicht des rechten Arms zu tragen, bietet (vorübergehend) eine Lösung. So beginnt eine besondere Zusammenarbeit, die bis heute andauert. Da das Unternehmen dann noch in Berkel-Enschot angesiedelt ist, wo damals auch Matthijs wohnt, läuft die Zusammenarbeit ganz selbstverständlich. „Focal war unweit meiner Grundschule“, erzählt Matthijs. „Gab es ein Problem mit meinem Rollstuhl, dann ging ich in der Mittagspause in die Werkstatt und aß dort mein Pausenbrot. Inzwischen konnte man dann meinen Rollstuhl reparieren.“
Paul Groenland erinnert sich noch gut an die erste Begegnung mit Matthijs. „Er kam mit seinem Assistenzhund bei uns durch die Hintertür und ich weiß noch, dass ich dachte: Kann ein so kleiner Junge denn überhaupt mit einer solchen Verantwortung für ein Tier umgehen?“ Matthijs ist zu dem Zeitpunkt tatsächlich der jüngste Niederländer mit einem Assistenzhund. Um mit dem Hund eine Beziehung aufzubauen und gemeinsam zu üben, muss er seine Familie für zwei Wochen verlassen. Typisch für sein Autonomiebedürfnis und seinen Drive, dafür alles Notwendige zu tun. Einen solchen Drive sieht man auch bei den Menschen von Focal, die immer wieder nach optimalen technologischen Lösungen suchen, um ihrem Kundenkreis ein autonomeres Leben und somit auch eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen. „Man darf keine Angst haben, sich in den dunklen Wald zu begeben“, sagt Paul Groenland dazu. „Um etwas Neues auszuprobieren, wovon sich das Ergebnis nicht vorhersagen lässt. Und dann muss man auch bereit sein, Enttäuschungen einzustecken. Denn manchmal denkt man eine Lösung gefunden zu haben, anschließend stellt sich aber heraus, dass man noch mehr Kenntnisse sammeln oder wieder andere Fachkompetenzen ins Haus holen muss.“
Dafür sorgt das Unternehmen ständig. Paul Groenland: „Wir haben als Maschinenbautechniker angefangen, beschäftigen aber inzwischen neben (medizintechnischen) Maschinenbauingenieuren auch Software Engineers, Biomediziner, technische Physiker sowie Gesundheitsfachkräfte.“ Mechatronik heißt der Fachbereich, in dem Mechanik, Elektronik und Softwareentwicklung einander treffen. Mindestens so wichtig für den Erfolg von Focal Meditech ist jedoch laut Groenland der Fokus auf ‚sozial-psychologische Aspekte‘; die Frage, was für individuelle Kunden notwendig ist. Dann ist es gut, wenn man einen Kunden wie Matthijs hat, der genau weiß und auch noch gut erklären kann, was er will, der aber zugleich auch realistisch ist. Denn die Technik kann viel, jedoch nicht alles. Lösungen müssen zudem bezahlbar sein. Das sei für die Beschäftigten von Focal eine ständige Herausforderung, meint Paul Groenland. Wie bleibt ein Produkt erschwinglich, ohne Abstriche hinsichtlich der Möglichkeiten für individuelle Nutzer zu machen? „Eine geringe individuelle Anpassung kann für unsere Kunden bereits einen himmelweiten Unterschied ausmachen.“
Zurück zu Matthijs. Sein zweites Hilfsmittel von Focal ist eine Kopfstütze. Zunächst eine einfache, später eine elektrisch bedienbare, die er selbst nach oben und unten sowie nach vorn und hinten bewegen kann. Auf seinen Wunsch fügt Focal Meditech eine Kippfunktion hinzu, die inzwischen Teil des Standardangebots ist. „Ich fragte, ob sie etwas machen könnten, womit ich mein Kinn anheben kann, damit ich einfacher essen kann“, erklärt Matthijs. „Da haben sie sich sofort an die Arbeit gemacht.“ So geht es seitdem öfter. „Dann lege ich mein Problem vor und suchen wir gemeinsam nach einer Lösung. Dabei habe ich meistens möglichst unmittelbar Kontakt mit demjenigen, der für die Umsetzung zuständig ist: einem Programmierer, wenn es die Software betrifft, oder einem Maschinenbauingenieur, wenn es um ein (neues) Gerät geht.“ Diese kurzen Wege sorgen für bessere Hilfsmittel und Anpassungen – davon ist Matthijs überzeugt. Und die Wege bleiben kurz, auch wenn Focal Meditech – bereits seit zehn Jahren in Tilburg ansässig – stark gewachsen ist. Matthijs: „Geht etwas kaputt, dann gehe ich auch heute noch einen Tag in die Werkstatt. Ich kenne die Leute da schon so lange, das macht auch einfach Spaß.“
Focal beschäftigt sich derzeit mit der Weiterentwicklung des Kopfstützsystems. Paul Groenland: „Innovationen beginnen bei uns oft klein. Meistens sind die Fragen, die wir bekommen, kaum erforscht. Wir müssen dann selbst zunächst Klarheit schaffen was diese Frage angeht, bevor wir nach einer möglichen Lösung suchen. Schwierige Fragen besprechen wir in einem multidisziplinären Kreis. Dort entscheiden wir, ob es eins unserer Projekte wird, wobei wir dann wieder Partner hinzuziehen, wie die Technische Universität Eindhoven, die TU Twente, de Universität Maastricht oder Roessingh Revalidatie Techniek.”
Im Laufe der Jahre wird der Rollstuhl von Matthijs unter anderem um einen Aufbau für Beatmung sowie ein Steuersystem erweitert. Mit dem System bedient Matthijs nicht nur den Stuhl an sich, sondern kann er auch beispielsweise die Türen in seiner Wohnung öffnen. Umgebungssteuerung heißt das. Wenn man ihn leidenschaftlich über die zahlreichen Möglichkeiten seines Rollstuhls erzählen hört, könnte man fast aus den Augen verlieren, dass jedes neue Hilfsmittel auch bedeutet, dass er etwas nicht mehr selber kann. „Es fällt jedes Mal ziemlich schwer, sich das einzugestehen“, meint seine Mutter. „Aber“, so fügt sie schnell hinzu, „in unserer Familie fokussieren wir immer auf das, was geht, nicht auf das, was nicht (mehr) geht. Ich denke, deshalb ist Matthijs soweit gekommen.“
Mutter Saskia ist wahnsinnig stolz auf ihren Sohn, der jetzt seinen Master der Neuropsychologie an der Uni in Maastricht und ein Praktikum in Leuven macht. Dass er so selbstständig ist, hat viel mit seinem neuesten Hilfsmittel von Focal Meditech zu tun: Roboterarm Jaco. Den hat er inzwischen auch schon wieder sechs Jahre. „Mit meinem Roboterarm kann ich jedes Problem, dem ich begegne, lösen. Früher musste ich immer jemanden bitten, für mich eine Klingel oder einen Fahrstuhlknopf zu betätigen. Jetzt kann ich das selber.“ Ober er ein Konzert besucht im Paradiso in Amsterdam oder seine Großeltern in Bergen an Zee: Dazu braucht Matthijs niemanden. „Das schaffe ich schon allein.“
Der Roboterarm ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Focal Meditech mit dem kanadischen Kinova, einem Spin-off der Universität von Montreal. Focal entwickelte sieben verschiedene Steuerungssysteme für den Arm, die sich alle an die individuellen Fertigkeiten und Bedürfnisse des Nutzers anpassen lassen. „Die Wünsche der Nutzer einbeziehen: Das ist unsere Stärke!“, meint Paul Groenland. Matthijs hat ein Riesenvertrauen in seinen Roboterarm. „Ich reibe damit in meinem Auge, dehne meinen Arm oder knacke sogar meinen Nacken damit. Und jeden Tag tue ich etwas damit, was ich davor noch nie getan habe.“ Ein Etikett vom Hundespielzeug abschneiden, zum Beispiel. „Ich habe mit meinem Roboterarm die Küchenschere aus dem Messerblock gezogen, die Roboterfinger in die Schere gesteckt und das Kärtchen abgeschnitten. Das dauert zwar, aber es klappt.“
Wie wichtig seine Hilfsmittel für ihn sind, merkt Matthijs vor allem dann, wenn er eine Weile ohne sie zurechtkommen muss. Wie zum Beispiel bei Pinkpop, als er dort mal stundenlang im Regen stand und sein Roboterarm völlig nass wurde. „Focal Meditech setzt dann alles dran, um ihn wieder funktionstüchtig zu machen. Dort weiß man: ohne meinen Roboterarm fühle ich mich behindert.“
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