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Erwin van der Kroon ist Programmmanager bei Bradford Engineering in Heerle
  • Artikel 21.10.2021

Die NASA landet gern bei Bradford

5 Minuten Lesezeit

Die NASA, ESA und JAXA sind Stammkunden. Auch der niederländische Astronaut André Kuipers lobte ihre Produkte, als er hoch oben im All war. Zu Besuch bei Bradford. „Schade, dass man seine Kunden nicht mal besuchen kann."

„Odyssee im Weltraum“ aus Heerle

Dort werden Teile für Satelliten sowie bemannte und interplanetare Raumfahrtmissionen hergestellt. Die NASA, ESA und JAXA sind Stammkunden. Auch der niederländische Astronaut André Kuipers lobte ihre Produkte, als er hoch oben im All war. Zu Besuch bei Bradford. „Schade, dass man seine Kunden nicht mal besuchen kann.“

BepiColombo ist seit Oktober 2018 unterwegs zum Merkur. Die unbemannte Raumfahrtmission der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA wird erst nach sieben Jahren in eine Umlaufbahn um den Planeten gelangen. Um dort mindestens für ein Jahr unter extremsten Bedingungen wissenschaftliche Messungen durchzuführen. Der Merkur ist der Sonne am nächsten. Tagsüber kann es auf dem kleinen Planeten bis zu vierhundert Grad heiß werden, in der

Nacht 170 Grad unter Null. Das stellt hohe Anforderungen an jedes Einzelteil von BepiColombo. Und genau deshalb ist die Europäische Weltraumorganisation an Bradford Engineering in Heerle herangetreten.

Reaktionsräder und Ionentriebwerk

„Für BepiColombo, eine Cornerstone (Grundstein) Mission der ESA, haben wir unter anderem vier Reaktionsräder gefertigt. Sie unterstützen sehr präzise den Kurs der Sonde Richtung Merkur“, erzählt Erwin van der Kroon, Programm-Manager bei Bradford Engineering. „Eine der größten Herausforderungen ist die starke Gravitation der Sonne, die es erschwert, ein Raumfahrzeug in eine stabile Umlaufbahn um den Merkur zu bringen.“ Die Lager der Reaktionsräder – um solche Details geht es – sind für den Erfolg der Mission und die Qualität der wissenschaftlichen Messungen von entscheidender Bedeutung, da sie sehr präzise und vibrationsfrei für die Dauer von über zehn Jahren wartungsfrei funktionieren müssen. Das ist echte Präzisionsarbeit, denn man kann ja nicht einfach einen Mechaniker in den Weltraum schicken.

„BepiColombo hat ein so genanntes Ionentriebwerk, das auf Xenon-Gas läuft“, erzählt Van der Kroon. Bradford lieferte auch die Technologie, die die

Gaszufuhr zum Ionentriebwerk überwacht und regelt. „Unsere Technologie ermöglicht einen sehr sparsamen Umgang der Raumsonde mit dem Gasverbrauch; man riskiert also nicht, dass sie unterwegs irgendwo ‚mit leerem Tank‘ im Weltraum hängen bleibt.

Die NASA ist einer der Stammkunden von Bradford Engineering in Heerle
Foto: Peter van Trijen

Kobus und Kwiebus

Teile für Wettersatelliten, unbemannte Versorgungsraumschiffe, die internationale Raumstation ISS sowie bemannte Raumfahrtmissionen von sowohl NASA als auch ESA: Aus der ganzen Welt ruft man in Heerle an, einer Ortschaft an der Autobahn A58, unweit von Bergen op Zoom. Wo in den Feldern vor allem zwei riesige Milchkannen auffallen – Kobus und Kwiebus genannt – die an die frühere Milchwirtschaft erinnern sollen.

„Hier lebten wohlgenährte Bauern“, erzählt Van der Kroon. Er muss zugeben, Raumfahrtindustrie und Heerle, das passt so gar nicht zusammen. Er wohnte jahrelang quasi bei Bradford um die Ecke, sagt er, im nahe gelegenen Halsteren, hatte aber von dem Unternehmen noch nie gehört, geschweige denn von dessen Aktivitäten. Ein Studienfreund machte ihn 1999 auf das Unternehmen aufmerksam. Mit der Raumfahrt konnte Van der Kroon überhaupt nichts anfangen. Ob Star Trek, Star Wars, der bekannte niederländische

Astronaut Wubbo Ockels oder der Flug des allerersten Space Shuttle: Davon hatte er gar nichts mitbekommen. Aber bereits schnell ergriff ihn das Raumfahrtvirus. Was will man auch. Seine Vorliebe für Elektrotechnik in Produkte für Astronauten umzusetzen, das ist ja schließlich ganz etwas anderes als die Arbeit an Brandmeldeanlagen für mehrgeschossige Gebäude.

Sockenfabrik in Putte

Dennoch ist das Unternehmen Bradford Engineering eng mit seiner Umgebung verbunden. Hervorgegangen ist es aus dem Maschinenbauunternehmen Janssen in Bergen op Zoom. Das hatte einen staatlichen Auftrag für Arbeiten am Schnellen Brüter in Kalkar erhalten. Aber da die Fabrik 1983 pleiteging, fragte man den damaligen stellvertretenden Geschäftsführer, ob er den Kalkar-Auftrag fortsetzen könne. Seine Antwort war ja, und er machte sich auf die Suche nach einer Fabrikhalle. Die fand er in Putte an der belgisch-niederländischen Grenze. In einer leerstehenden Sockenfabrik der Marke Bradford, deren Produktion auf die andere Seite der Grenze verlagert worden war. Der Name Bradford gefiel ihm eigentlich ganz gut, das hörte sich ja auch international gut an, zumal die Fabrik auch noch an der Bradfordstraat stand. Bradford Engineering war geboren.

Von der Nukleartechnik zur Raumfahrttechnik

Das Unternehmen blühte. Bis zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl Mitte der achtziger Jahre. Der Staat zog sich aus dem Kalkar-Projekt zurück. Gezwungenermaßen musste Bradford seinen Fokus von nuklearen Tätigkeiten auf andere Industriezweige verlagern, wo man auch mit Hightechanlagen mit besonderen Spezifikationen, Anforderungen und dazugehörigen Sicherheitsrisiken arbeitet. Über das Wirtschaftsministerium kam Bradford in Kontakt mit der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA). Man verstand sich auf Anhieb. Zunächst bot Bradford vor allem Unterstützung bei Montagearbeiten von Instrumenten für die bemannte Raumfahrt. Das änderte sich nach Abschluss einer Studie der ESA zu einer Glovebox im Jahr 1988. Ein teilweise transparentes Minilabor im Kastenformat, in dem Astronauten sicher Versuche durchführen können. An der Vorderseite und an den Seiten befinden sich Handschuhe zur Durchführung der Experimente. Van der Kroon: „Mitbewerber waren an der Herstellung dieser Gloveboxen nicht interessiert. Unser damaliger Geschäftsführer jedoch schon.“

Weltweiter Spezialist für Gloveboxen

Das erwies sich als gute Entscheidung. Seit 1986 hat man bei Bradford über fünfzehn dieser Gloveboxen entwickelt und produziert. Das Unternehmen wird weltweit – besser gesagt: weltraumweit – zum Spezialisten für Gloveboxen. Jedes bemannte Raumschiff nimmt sie mit an Bord. Von den Space Shuttles und der russischen Raumstation MIR bis hin zur internationalen Raumstation ISS. Van der Kroon: „Die Entwicklung eines solchen Kastens dauert zwei bis sieben Jahre. Es handelt sich um ein Millionenprojekt.“ Die größte Herausforderung bei der Herstellung der Glovebox: die Sicherheit. Aus so einem Kasten darf auch nicht die winzigste Menge Gas oder Flüssigkeit entweichen. Sollte das dennoch vorkommen, dann sorgen Filter dafür, dass die gesamte Luft gereinigt wird, bevor sie die Glovebox verlässt. „Unsere Aufgaben gehen über die Entwicklung der Hardware hinaus. Dazu gehört auch ein Servicevertrag für Wartung und Ersatzteile. Und wir unterstützen das Europäische Weltraumforschungs- und Technologiezentrum (ESTEC) bei der Vorbereitung aller Glovebox-Experimente.“

André Kuipers

Und diese Frage brennt allen auf der Zunge: Hat ‚unser‘ André Kuipers auch mit einer Glovebox von Bradford gearbeitet? Van der Kroon grinst. Einen Moment, gebärdet er. Er sucht kurz in seinem Computer, und siehe da, dort ist das Foto, das Kuipers im Januar 2012 während seiner ISS-Mission durch das Weltall an die Erde twitterte. Mit dem Text: „After 7,5 years, it’s great to work with Bradford’s Microgravity Science Glovebox again.“ Ein tolles Bild: Kuipers hängt schwerelos am MSG-Kasten. Diesem Kasten ging eine Entwicklung von acht Jahren vorweg, bevor er 2001 lanciert wurde. Kuipers hatte anschließend noch an einer Präsentation bei Bradford teilgenommen. Stolz: „Zwischen 1999 und 2002 habe ich an dieser Glovebox arbeiten dürfen. Die Elektronik stammt von mir. Man bekommt schon einen Kick, wenn man dann so ein Foto sieht. Damit haben wir dann doch alle gemeinsam in Brabant Geschichte geschrieben.“

André Kuipers: „After 7,5 years, it’s great to work with Bradford’s Microgravity Science Glovebox again.“

Die NASA ist einer der Stammkunden von Bradford Engineering in Heerle
Foto: Peter van Trijen

43.000 Betriebsstunden

2004 erhält die MSG ein Follow-up, die Life Sciences Glovebox (LSG). Mit 450 Litern Inhalt der größte Experimentierkasten, worüber die ISS verfügen kann. Bis voriges Jahr wartete er auf die Ingebrauchnahme, erzählt Van der Kroon. Ein unbemanntes HTV-7 Raumfahrzeug brachte ihn zur Raumstation ISS. Astronauten packten das Geschenk nur zu gern aus und installierten es am japanischen Experimentiermodul der Internationalen Raumstation, denn die LSG sei wirklich ein Geschenk, meint Van der Kroon. Wegen der großen Frontscheibe, die sich einfach abnehmen lässt. Und weil zwei Astronauten zugleich daran arbeiten können. Auch schont die LSG die MSG. Der Handschuhkasten hatte bereits 2017 ein Upgrade erhalten; die feste Glasscheibe erhielt eine abnehmbare Frontscheibe. „Wissen Sie, dass die MSG auf der ISS bereits über 43.000 Betriebsstunden geleistet hat? Es ist die am intensivsten genutzte Forschungseinrichtung der Raumstation.“

Küchenfabrik in Heerle

Bradford verließ 1997 Putte. Die Fabrik stand dort mitten im Dorf, neben der Kirche. Es gab kaum Möglichkeiten zur Erweiterung. Die gab es allerdings 30 km weiter entfernt in Heerle, in einer ehemaligen Küchenfabrik. 2000 Quadratmeter an Produktions- und Büroflächen, untergebracht in verschiedenen Gebäuden, mit einem Reinraum, wo 80 Spezialisten nach allerhöchsten Qualitätsanforderungen arbeiten. „Die Raumfahrtindustrie ist eine ziemlich konventionelle Welt“, meint Van der Kroon. „Die Entwicklung eines Produkts dauert ohne weiteres fünf Jahre. Und besteht aus Tests, Tests und noch mehr Tests.“ Das ist natürlich logisch. Alles an Bord und außer Bord muss über eine lange Lebensdauer verfügen. Sollte unterwegs etwas kaputtgehen, kann man nicht einfach einen Mechaniker hinschicken. Als genauso schwierig erweist es sich, im Land der wohlgenährten Bauern neues Personal anzuziehen. Ganz anders als in Amerika, wo man für Jobs in der Raumfahrtindustrie Schlange steht. „Hier ist man doch im wahrsten Sinne des Wortes bodenständiger. Die Raumfahrt ist für Menschen in den Niederlanden jenseits ihres Horizonts.“

Erwin van der Kroon ist Programmmanager bei Bradford Engineering in Heerle
Foto: Peter van Trijen

Wiederum den Fokus verlagern

Das Jahr 2003 begann mit einer Katastrophe. Die Raumfähre Columbia zerbrach kurz vor ihrer Landung in Einzelteile. Die sieben Astronauten kamen ums Leben. Alle Missionen wurden ausgesetzt und damit stagnierte die Anzahl der Glovebox-Aufträge. Bei Bradford musste man erneut den Fokus verlagern. Jetzt auf die Herstellung von Teilen für den Satellitenmarkt. Die ersten Schritte hatte man glücklicherweise bereits 1994 gesetzt, was auch nötig war, denn die Time-to-Market für neue Produkte beträgt im Schnitt 10 - 15 Jahre. „Bereits Anfang der neunziger Jahre sahen wir ein, dass wir uns nicht von der bemannten Raumfahrt abhängig machen sollten. Wir stellen Instrumente mit einer langen Lebensdauer her, Ersatz kommt nicht wirklich in Frage. Für einen konstanten Absatz sind wir vom Wachstum des Marktes abhängig. In jener Periode war und bis auf den heutigen Tag ist dieses Wachstum sehr bescheiden. Es gibt nur eine ISS. Wachstum gab und gibt es allerdings noch immer bei den Satelliten.“ Heute ist Bradford europäischer Marktführer für die meisten Satellitenkomponenten. Sonnensensoren, die die Position hinsichtlich der Sonne messen. Reaktionsräder, die die Lage des Satelliten regeln. Und Antriebssysteme, wie Füllstandanzeiger, Drucktransmitter, Durchflussmesser, Regel- und Schaltventile, die dafür sorgen, dass ein Satellit in die richtige Umlaufbahn um die Erde gelangt und dort auch bleibt: „Produkte dieser Gruppe sind Teil fast aller europäischen Raumfahrtmissionen.“

Kommerzielle Raumfahrt

Auch hat man bei Bradford 1994 mit der Entwicklung von Produkten für kommerzielle Satelliten und die kommerzielle Raumfahrt begonnen. „Wir erkannten, dass die bemannte Raumfahrt rückläufig war. Der Staat zog sich immer mehr daraus zurück“, sagt Van der Kroon. Das schafft Raum für neue kommerzielle Marktspieler und Start-ups, die selbst Missionen und Satelliten ins All schicken. Diese Entwicklung wird in der Zukunft von Bradford eine große Rolle spielen. „Heute bieten wir hauptsächlich maßgeschneiderte Produkte. Kommerzielle Unterneh Teile. Kürzlich haben wir für so einen neuen Akteur Sonnensensoren für eine große Anzahl neuer Satelliten gebaut. Ein Riesenauftrag, aber die Größenordnung der Stückpreise ist eine ganz andere als bei den ESA-Aufträgen.“ Er denkt auch an Satelliten, die künftig in Megakonstellationen in einer Umlaufbahn um die Erde kreisen, um superschnelles Internet zu ermöglichen. Ihre Höhe in der Erdatmosphäre ist geringer und die Lebensdauer ist kürzer, deshalb kennen sie auch andere Preise. „Unser Fokus liegt auf der Qualität. Wenn man die Herstellung eines Rolls Royce gewohnt ist, ist es schwierig, auf die gleiche Weise einen Fiat herzustellen. Das erfordert eine andere Arbeitsweise. Und andere Bauteile.“

Erwin van der Kroon ist Programmmanager bei Bradford Engineering in Heerle
Foto: Peter van Trijen

“De ontwikkeling van een product duurt zomaar vijf jaar. Bestaat uit testen, testen en nog meer testen.”

Übernahmen

2016 gerät Bradford in die Hände der amerikanischen AIAC, der American Industrial Acquisition Corporation. Amerikanische Investoren lieben das All. Unter amerikanischer Führung begibt sich Bradford auf Beutezug. Van der Kroon: „Unsere Arbeit ist nicht nur technisch hochkompliziert. Das gilt auch für die politischen und finanziellen Aspekte. Da unser Land relativ wenig Geld in ESA-Projekte steckt, ist das dort verfügbare Entwicklungsbudget für niederländische Unternehmen auch sehr bescheiden. Unsere Wachstumsstrategie besteht teilweise aus Übernahmen von Unternehmen auf der ganzen Welt. Für den Zugang zu europäischen Entwicklungsbudgets sowie zur Erweiterung unserer Produktpalette.“ Eine der Bradford-Beuten ist ein schwedischer Hersteller von nichttoxischen Antriebssystemen für Raumfahrzeuge. „Wir machen alles vom Kraftstofftank bis hin zum Raketenmotor, das ergänzt sich also gut.“ So eine Übernahme ist zwar kostspielig, aber es lohnt sich. „Wir hätten selbst so ein Antriebssystem entwickeln können. Wobei man dann noch nicht sicher sein kann, dass es auch gelingt. Heute sind wir plötzlich ein weltweiter Spieler auf einem Nischenmarkt und hat sich unser Umsatz verdoppelt.“

Mit beiden Füßen auf der Erde

Schauen Sie mal nach oben, sagt Van der Kroon. Im Moment kreisen 2004 Bradford-Produkte um die Erde. Niemand, der das weiß. „Was wir machen, kann man nicht sehen. Schade, dass man seine Kunden nicht mal besuchen kann.“ Sicher, er fände es super, wenn man mal so einen Kundenbesuch im All machen könnte. Die Schwerelosigkeit, das Schweben. Aber die neun Monate Vorbereitung, und wenn man dann all die Geschichten über die Raumkrankheit und die schwere Belastung des Körpers durch die g-Kräfte während des Aufstiegs hört, „nein, lassen Sie mich einfach mit beiden Füßen auf der Erde stehen.“

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